WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG, 20. APRIL 2006

Verletzte werden heimlich versorgt

Marianne Großpietsch zittert mit den Shanti-Mitarbeitern. Lage in Nepal ist brisant: Heute wird bei einer Großdemonstration der Rücktritt von König Gyanendra gefordert. Dortmunderin will den Dalai Lama um Hilfe bitten.

Das sechste Todesopfer und die Festnahme von 250 Professoren: Das waren am Mittwoch die jüngsten Nachrichten aus Nepal. Wenn sich nach zweiwöchigem Generalstreik die Nepalesen heute zu einer Großdemonstration zusammenfinden, um die autoritäre Herrschaft von König Gyanendra zu brechen, zittert Marianne Großpietsch mit – vor allem um ihre Mitarbeiter in den Kliniken, Reha Werkstätten, Kindergärten und anderen Einrichtungen der Shanti Leprahilfe.

Vor Ort sein kann sie zurzeit nicht, das Auswärtige Amt rät dringend von Reisen nach Nepal ab, dessen König mit allen Mitteln versucht, an der Macht zu bleiben. Täglich telefoniert sie mit Kathmandu, erfährt von den Kämpfen in der Nähe der Shanti Station, von den mühsamen Versuchen, die Armenküche weiter zu betreiben, in der 1000 Essen am Tag ausgegeben werden. »Das Gemüse ist von einem zum anderen Tag um 100 Prozent teurer geworden«, sagt sie. So starten die Shanti Mitarbeiter morgens, wenn die nächtliche Ausgangssperre endet, mit drei Motorrädern zum eigenen Stück Land und versuchen, das Gemüse heil zur Station zu bringen. »Mit dem Auto fährt niemand, aus Angst, dass es demoliert und angezündet wird.« Auch das Koch-Petroleum wird heimlich beschafft.

»Die Bevölkerung geht mit weißen Blumen auf die Polizei zu – und die schlägt ihnen die Schädel ein«, hat Marianne Großpietsch erfahren. Dass den Verletzten in der Klinik geholfen wird, muss verheimlicht werden. »Wir deklarieren Patienten mit Schädelverletzungen als Unfälle.« Auch Ärzte werden verhaftet. »Die Regierung schürt die Konflikte. Am Dienstag wurden Soldaten in Zivil enttarnt, die Granaten in die Menge werfen sollten.«

Marianne Großpietsch hofft, dass der König ins Exil geht und Nepal eine Demokratie werden kann. Obwohl dann der große Konflikt mit den Maoisten droht, die ein Regime nach dem Vorbild des kambodschanischen Diktators Pol Pot errichten möchten, denkt sie an morgen. Daran, wie den Armen geholfen werden kann, die weder genügend Essen noch sauberes Wasser und keinerlei medizinische Versorgung haben. Sie sammelt weiter Spenden, um Land kaufen zu können.

Und Marianne Großpietsch will an den Dalai Lama schreiben. »Die buddhistischen Klöster sind reich«, sagt sie. Vielleicht sei es an der Zeit, dass die Tibeter, die in Nepal Aufnahme gefunden haben, jetzt den Nepalesen für ihre Gastfreundschaft ein wenig zurück gäben.

Trinkwasser

Die jüngste Initiative von Marianne Großpietsch (62) sind Brunnen. In den Slums von Kathmandu ist das Trinkwasser verschmutzt, jeden Sommer brechen Cholera und Typhus aus. Ein Brunnen kann täglich 500 Menschen mit zehn Litern gereinigtem Wasser versorgen. Informationen über Shanti gibt es unter www.shanti leprahilfe.de. Spenden: Konto Nr. 17 777 13 bei der Deutschen Bank, BLZ 440 700 24.